Mating Season – Die Performance

Mating Season
© Georg Klüver-Pfandtner

»Das

   reicht.«

Mating Season spielt mit gewohnten und ungewohnten Bildern und den Blicken des Publikums – zumindest solange es die Performerin möchte, die sich in ein Spannungsfeld zwischen Erotik, Abstraktion und Unterhaltung begibt. Das inszenierte Abstreifen und Anlegen von Kleidungsstücken verhandelt und reflektiert die Führung des Blicks. Erotik, Kontrolle, Blickentzug – wer blickt auf wen? Wer zeigt sich wem? Was will ich zeigen? Wie soll es gesehen werden? Es geht um den Versuch, die Narrative, die das Publikum mit dem Körper der Darstellerin verbindet, zu kontrollieren, umzudeuten, zu überwinden, auszuweiten und mit ihnen zu spielen.

Mating Season
© Follow the Rabbit

„Es gibt nicht die eine Identität, es gibt viel mehr ‚multiple Identitäten‘, eine ‚Fragmentierung der Identität‘ oder ein ‚Identitätsspektrum‘ […].  In all diesen Begriffen wird ersichtlich, dass Identität eine harte Nuss mit vielen Kernen ist. Schwer zu verstehen also, wie wir eine sexuelle Identität haben, eine soziale Identität, eine personale und beispielsweise eine ethnische – und wie sie uns alle bewohnen. […] Mating Season streift diese Spektren, dringt jedoch vorallerdingen in die leibliche und sexuelle Identität vor und verdeutlicht, dass es sich lohnt, diese vielgestaltige Dimension näher zu betrachten. Es ist dies definitiv keine plumpe Körperbeschau, sondern eine soziale Auseinandersetzung.“ (Soziologin Karin Scaria-Braunstein)

Das vollständige Essay ist weiter unten zu finden.

28., 30. und 31. März, sowie 1. April 2023 um 20h
im Grazer Forum Stadtpark, Hauptraum, Stadtpark 1
Tickets unter: Ticketteer
ACHTUNG: Vom 11. März bis 1. April kann man im Forum Stadtpark die Videoinstallation zu „Matin Season“  anschauen!

Dauer ca. 60 Minuten

Mating Season
© Georg Klüver-Pfandtner

Performance: Nadja Brachvogel, Victoria Fux, Georg Klüver-Pfandtner
Konzept: Nadja Brachvogel und Christina Lederhaas
Entwicklung: Team
Raum und Kostüm: Georg Klüver-Pfandtner
Regie: Christina Lederhaas
Dramaturgie: Victoria Fux
Technik: Lisa Raschhofer

Eine Produktion von Follow the Rabbit
koproduziert/coproduced by steirischer herbst ’21

MATING SEASON :: My body – Her body – Social body
Soziologische Gedanken
von Karin Scaria-Braunstein

Das wird ja immer komplizierter – die vermaledeite Frage nach der verflixten Identität. Um sie zu beantworten, mühen sich verschiedene Wissenschaftsdisziplinen seit Jahrzehnten ab. Warum sie das tun, liegt auf der Hand: wir alle haben eine – oder mehrere – und wir sind jeden Tag damit beschäftigt (getriggert nicht zuletzt durch diverse Medien und einer immer unübersichtlicheren Welt) uns zu fragen: wer bin ich? MATING SEASON stellt diese Frage clever auf unterschiedlichen Ebenen und lässt soziologisch tief blicken.

Der (wissenschaftliche) Kanon verweist vorweggenommen deutlich in eine Richtung. Es gibt nicht die eine Identität, es gibt viel mehr „multiple Identitäten“, eine „Fragmentierung der Identität“, wie etwa Michel Maffesoli auf Bezug des Postmodernen Individuums diese Mannigfaltigkeit beschreibt, oder ein „Identitätsspektrum“, das MATING SEASON feinsinnig thematisiert. 

Harte Nuss vieler Kerne?

In all diesen Begriffen wird ersichtlich, dass Identität eine harte Nuss mit vielen Kernen ist. Schwer zu verstehen also, wie wir eine sexuelle Identität haben, eine soziale Identität, eine personale und beispielsweise eine ethnische – und wie sie uns alle bewohnen. MATING SEASON streift diese Spektren, dringt jedoch vorallerdingen in die leibliche und sexuelle Identität vor und verdeutlicht, dass es sich lohnt, diese vielgestaltige Dimension näher zu betrachten. Es ist dies definitiv keine plumpe Körperbeschau, sondern eine (zuweilen auch erschütternde) soziale Auseinandersetzung. 

MATING SEASON umspannt inhaltlich die Diskussion um Schönheit über die Verhüllung bis zur Entschleierung. Auf der Bühne steht eine Performerin, die einen Körper hat und diesen dem Publikum in spezifischen Szenarien (bzw. Szenenbildern) anhand künstlerischer Rahmungen in allen gegebenen Facetten zeigt. Auch auf der Bühne zu sehen sind zwei Stage Kittens, die eine Aufgabe in diesem Verhüllungs-Enthüllungs-Zauber vollführen sowie Objekte, die den Identitätsreigen vervollständigen. MATING SEASON verhandelt kurz gesagt künstlerisch die leiblich-soziale Identität einer Frau mittleren Alters. 

Sozial-Beziehungen

Versuchen wir, diese Anordnungsbeschreibung der Performance soziologisch möglichst einfach zu fassen, können wir folgendes Setting festhalten:

       1. Das Subjekt
           • Die Performerin, die sich auf der Bühne periodisch verhüllt und enthüllt
           • Stage Kittens, die periodisch auf der Bühne erscheinen und einen (scheinbar) assistierenden Auftrag erledigen
       2. Die Außenwelt
           • Das Publikum im gesamten Zeitraum der Performance
       3. Objekte
           • Die auf der Bühne wechselnd einen Rahmen für die Szenebilder aufbauen

Dieses Subjekt-Außenwelt-Objekt-Setting bildet für die Zeit der Performance eine Beziehung, es ließe sich gar von einem sozialen Kosmos sprechen. Hier wird spätestens ersichtlich, dass MATING SEASON komplexe Verhältnisse umfasst. Soziologisch ist das von höchster Relevanz, da davon ausgegangen wird, dass Identitätsbildung nie ein rein individueller Vorgang ist, sondern sozial entsteht, aufrechterhalten wird und über diese Beziehung auch wandelbar und verhandelbar bleibt. Identität(en) ist in MATING SEASON folgerichtig ein (periodischer) Prozess der Reflexion und Beobachtung. 

Körper-Verbindungen 

Wie lässt sich diese soziale Beziehung über die leibliche Identitäts-Dimension und das soziale Erleben von MATING SEASON aber tatsächlich verstehen? Wir können hierfür einfache Begriff verwenden:  

Im Mittelpunkt der Performance steht die Performerin mit ihrem Körper – „my body“. Zusammen mit den Stage Kittens, den Objekten und dem Publikum formt der Körper der Performerin einen „social body“ für den Zeitraum der Performance. 

Die Stage Kittens agieren am und reagieren direkt mit dem Körper der Performerin („her body“) und stehen mit ihm in einer direkten physischen Verbindung (im Gegensatz zum Publikum), stellen desgleichen ihren eigenen Körper auf der Bühne zur Beobachtung („my body“) und gestalten gemeinsam wiederum mit der Performerin, den Objekten und dem Publikum den „social body“. 

Das Publikum bildet vor allen Dingen mit den Akteur*innen auf der Bühne den „social body“, betrachtet „their body“ und „her body“ und reagiert auf das Erlebte – als eine Einheit und in einer individuellen Reflexionsarbeit. 

Her body“ – eine Interaktion  

Die leibliche Dimension der Identität(en) ist eine besonders spannende. Mit dem Körper treten wir in spürbaren Kontakt mit der Außenwelt. Damit ist die leibliche Identität auch im besonderen Maße der Manipulation von außen offen. Der Körper kann eingeschränkt und diszipliniert werden. Dies gilt, das ist unumstößlich, besonders für den Frauenkörper. Für diese Feststellung ist eine tiefere (historische) Auseinandersetzung wohl nicht mehr von Nöten. Aber die Stärke der sozialen Wirkungsmacht ist uns noch nicht eingängig bewusst. 

MATING SEASON ist keine Opferstilisierung des weiblichen Körpers. Es ist ein Spiel mit Lust und Unlust, geprüft und reflektiert in einem sozialen Setting. Die Performance lässt Luft, dieses Spannungsfeld zu erahnen, zu deuten, neu einzuordnen. 

Wie sich die Autonomien in diesem Setting vollziehen ist schon nicht so einfach zu begreifen. Der Körper der Performerin („my body“) wird durch die Stage Kittens zurechtgerückt, bekleidet, verändert, dekoriert. Das Publikum weiß nicht, welchem Drehbuch hierbei gefolgt wird, wer den Auftrag gegeben hat und wer nun ausführende Partei des Auftrags ist. Die Performerin gibt mit den Worten „das reicht“ zu erkennen, dass ein Szenario beendet ist. Diese Worte demonstrieren Selbstbestimmung, jedenfalls kann das Publikum das annehmen. Die wahre Autonomie bleibt verschleiert. Nichts entspricht der sozialen Realität wohl mehr. 

Für das Publikum ist jedes Setting eine Überraschung. Es muss damit umgehen, diese Verwandlungen und Verhandlungen des Frauenkörpers vornehmlich aus der Reaktions-Position zu begegnen. Es hat alleine die Möglichkeit, den Raum zu verlassen. Aber auch das ist sozial ziemlich schwierig. Also reagiert es sozial. Es achtet auf die Stimmungen im Raum, ist zunächst zurückhaltend, angespannt. Und freut sich über Momente der Entlastung. Es ist aber nicht nur beobachtend tätig. Die Performance erfordert körperliche und kognitive Auseinandersetzung. „Her body“ tritt unweigerlich und nahezu unumgänglich in eine Interaktion mit den Körpern auf den Publikumssitzen. 

Die soziale Narration 

Der soziale Körper entwickelt sich im Laufe von MATING SEASON. Er wird zu einer sozialen Narration. Diese Narration lebt von einer periodischen Veränderung. Von Gemeinsamkeit gleichviel wie von Differenzen. Von einer Verbindung von Erfahrungen und Gefühlserlebnissen. Entgegen dem Sprichwort, Schönheit liege im „Auge des Betrachters“, ist Schönheit (auch) in Beziehung zu setzen mit der sozialen Reaktion und Verhandlungen darüber. Das zeigt uns MATING SEASON eindrücklich auf.

Pressestimmen

»Die Performance als Balzgesang
Follow the Rabbit feiert die Präsenz des – nackten – Körpers
„Mating Season“ nennt sich die Performance, die Follow the Rabbit als Kooperationsbeitrag für den steirischen herbst entwickelt haben. Balzzeit also, und das ist keine bloße Koketterie. Tatsächlich wird das Publikum hier auf ungewöhnliche Weise umworben, gefesselt, überrascht. Und ja, es geht dabei auch und vor allem um den nackten Körper der Schauspielerin Nadja Brachvogel.
Eine Folge theatralischer Bilder wird als Versuchsanordnung zur Frage präsentiert, was passiert, wenn sich eine Performerin vor Publikum entblößt, weil es ihr Freude macht. Leichtfüßig und voller Humor versucht sich Brachvogel etwa in eine lebensgroß auf Leinwand gebannte Bacchus-Szene zu integrieren, denkt sie den Monroe-Effekt zu Ende oder zeigt Striptease rewind: als erotische Kunst, sich anzuziehen.
Dafür haben Follow the Rabbit eine Art All-Star-Ensemble der Grazer Performance-Szene vereint: Christina Lederhaas hat Regie geführt, Georg Klüver-Pfandtner zeichnet für die ebenso kluge wie schrille Ausstattung verantwortlich und assistiert gemeinsam mit Victoria Fux (Dramaturgie) auch auf der Bühne. Ein wundervoller Abend über bloßgelegte Schönheit, die sich sachte, aber sicher allen Stereotypen weiblicher Erotik entzieht.«

Kleine Zeitung, 24. September 2021

 

»Follow the Rabbit lädt in der Kunsthalle Graz zur Performance „Mating Season“
Der gelenkte Blick des Betrachters
Wann wird das Betrachten zu Voyeurismus, wann das Ausziehen zum Exhibitionismus? In der mit dem steirischen Herbst koproduzierten Performance „Mating Season“ stellt Nadja Brachvogel diese und weitere Fragen zur Diskussion. Konkrete Antworten darauf lassen sich freilich nicht finden – und das ist spannend.

Der nackte weibliche Körper im Kontext der Kunst, aber auch in Bezug auf Schönheitsideale steht im Mittelpunkt dieser Performance, für die Nadja Brachvogel in einem gemeinsam mit Christina Lederhaas entwickelten Konzept die Hüllen fallen lässt. Und dabei geht es bei weitem nicht nur um Kleidung. Vielmehr wird hier auf zahlreichen Ebenen und noch mehr Subebenen erkundet, was den Blick des Betrachters lenkt, wiee man in diesem erscheinen will, inwieweit man diesen Eindruck beeinflussen kann.
Es geht aber auch um ein Gefühl für den eigenen Körper, um eigene Wünsche und Begehrlichkeiten, um Schönheitsbegriffe, um ein Zusammenspiel von Voyeurismus und Exhibitionismus, um ein Sich-Darstellen und um die Wahrnehmung.
Das alles vereint Brachvogel, unterstützt von Georg Klüver-Pfandtner und Victoria Fux, in einem etwa einstündigen, meist wortlosen Exkurs. Bis auf „das reicht“ sagt sie nichts und selbst diese zwei Worte öffnen neue Perspektiven. In unterschiedlichen Settings erfolgt hier mehr und mehr eine Befreiung, eine Emanzipation von Erwartungshaltungen, die nicht nur mit feinem Humor unterhalten, sondern mit ihrer Kraft auch viel Mut machen.
Zu sehen ist diese eindrucksvolle Produktion noch bis zum 30. September in der Grazer Kunsthalle.«

Kronen Zeitung, 24. September 2021