Shoot’n’Shout (UA)
von Sergej Gößner
In diesem Stück geht es um einen bestimmten Moment. Um den Moment, in dem wir vor der Entscheidung stehen, uns gegen verbale oder körperliche Attacken körperlich oder verbal zu wehren – oder es sein zu lassen. Es geht um Situationen, in die Menschen unfreiwillig hineingeraten, um Situationen, in denen wir vor dem moralischen Dilemma stehen, nicht Gewalt anwenden zu wollen, aber es doch tun zu müssen, um nicht Schaden zu nehmen oder andere vor Schaden zu bewahren. Es geht um Situationen, in denen man keine Zeit hat, bis die Polizei kommt oder sich zu überlegen, wie man reagieren soll. Es geht um hoch emotionale Momente zwischen Angst und Wut, um Momente der Ohnmacht, der Verletzung der Würde. Es geht um die Entscheidung, ob wir uns entweder diese Würde bewahren – oder unsere körperliche Unversehrtheit. Es geht ums Erstarren, das Rasen im Kopf. Es geht um die ungleich verteilte physische Wirkmächtigkeit, um schnelles Abwägen der eigenen Kräfte und denen des Angreifers. Es geht um Situationen, in denen wir zu jemanden werden, der wir nicht sein wollen: einem gewalttätigen Menschen.
Follow the Rabbit – mehrfacher Preisträger im Kinder- und Jugendtheater – tut sich mit dem Erfolgsdramatiker Sergej Gößner zusammen, um sich gemeinsam mit zwei Spielerinnen und zwei Spielern auf die Suche zu begeben nach den Grenzen eines gewaltlosen Miteinanders. Das Ziel ist ein multiperspektivischer Zugang, d.h. jede:r soll etwas damit anfangen können – egal woher sie:er kommt.
Es gibt sie, diese „Du-oder-ich-Momente“, öfter als man denkt, in denen man sich entscheiden muss: Gebe ich jetzt klein bei oder ziehe ich es durch? Immer geht es dabei um die eigene Würde. „Würde“ – ein seltsames Wort, das sich schwer greifen lässt. Frage zehn Menschen, was sie darunter verstehen, und du bekommst zehn verschiedene Antworten – je unterschiedlicher ihr Hintergrund, desto extremer die Unterschiede.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Aber was, wenn sie angetastet wird? Wie weit bin ich bereit zu gehen, um meine Würde zu verteidigen? Und mit welchen Mitteln? Mit Worten? Mit Taten? Mit Gewalt? Und was dann? Shoot’n’Shout stellt sich genau diese Fragen. Und wird sich hüten, einfache Antworten zu liefern, denn gäbe es die, dann lebten wir in einer Welt des Friedens.
Termine
Derzeit keine weiteren Termine.
Dauer ca. 90 Minuten
Mit Sofia Falzberger, Johanna Martin, Jonas Werling, Chen Emilie Yan*, Nuri Yildiz
*Statt Sofia Falzberger in den Wiesbadener Aufführungen Mai/Juni ’24
Regie: Martin Brachvogel
Produktionsleitung/Regieassistenz: Natalie Pinter
Dramaturgie: Nadja Brachvogel
Bühne, Kostüm, Projektionen: Lisa Horvath
Bühnen- und Kostümbildassistenz: Nora Peierl
Lichtdesign: Michael Rainer
Outside Eye: Dirk Schirdewahn
Eine Produktion von Follow the Rabbit (A)
und dem Staatstheater Wiesbaden. (D)
In Koproduktion mit dem Next Liberty Graz (A)
und dem Apollo Theater Siegen (D).
Verlag: Felix Bloch Erben
Pressestimmen
»Folge der Hummel ins Reich der Gewalt
Eine Hummel kann ihr Gift auch verströmen, wenn sie schon tot ist. Das macht das Tier zu einem treffenden Motiv für die Stückentwicklung „Shoot’n’Shout“ des Grazer Kollektivs Follow the Rabbit (Nadja und Martin Brachvogel) zum Thema Gewalt. Der Abend widmet sich komplexen Fragen: Ist es auch Gewalt, wenn man nicht die andere Wange hinhält? Wie lässt sich Gewalt auf der Bühne thematisieren, ohne sie zu reproduzieren? Und wenn eine Schauspielerin die Improvisationsangebote der anderen ignoriert, weil sie sie für gewaltverherrlichend hält – ist das dann nicht auch irgendwie Gewalt?
Das Regieteam und der Autor Sergej Gößner (wie die Schauspieler Nuri Yildiz und Jonas Werling Teil der grandiosen Follow-the-Rabbit-Produktions „Mongos“) haben es sich wahrlich nicht leichtgemacht und scheitern auf verstörend hellsichtige Art daran, Antworten zu geben. Das Ensemble streitet auf der Bühne, stellt mit großer Selbstverständlichkeit Gewaltskulpturen dar und wird auf Videoleinwänden von Hummelstacheln bedroht. Zur Gegenwehr hängen für alle vier auch Hummelkostüme bereit.
Ab 14 Jahren konzipiert, eignet sich „Shoot’n’Shout“ vor allem für die Mitdenkwilligeren unter den Jugendlichen. Ein paar Erwachsene im Publikum, die den mutigen Ansatz zu schätzen wissen, können durchaus nicht schaden.«
Martin Thomas Pesl, Falter, 13. Februar 2024
»Gewalt und ihr oft nichtiger Auslöser
Wann übertritt man persönliche Grenzen? Diese Frage stellt „Shoot’n’Shout“ im Grazer Next Liberty.
Gewalt bedeutet für jeden etwas anderes. Das wird bei Sergej Gössners Stück „Shoot’n’Shout“ im Grazer Next Liberty schnell klar. In dieser Koproduktion mit dem Staatstheater Wiesbaden und der Grazer Gruppe Follow the Rabbit stehen vier Schauspieler auf der Bühne, die ihre Profession und die Künstlichkeit ihrer Handlungen gar nicht geheim halten wollen. Die so erzeugte Distanz zum Geschehen verstärkt zum einen die Fragestellung nach den Auslösern von Gewalt und ist zum anderen weit davon entfernt, diese zu verharmlosen. Es beginnt ja alles ganz harmlos mit der Diskussion, wie man so ein Stück würdig einläutet. Schon da treten erste leichte Diskrepanzen auf, die sich in Folge steigern. Auch die Frage, ob man selbst schon einmal Gewalt erlebt hat, bringt höchst unterschiedliche Antworten. Jedenfalls poppen sowohl in der denkbar banalen Handlung des Stücks – ein Kind geht nur mit Badehose bekleidet nach Hause und tritt auf eine Hummel, die sticht – als auch unter den Schauspielern zahlreiche Bruchlinien mit Konfliktpotenzial auf, die durch oft kleine Gesten oder unbedachte Äußerungen eskalieren. Es ist spannend anzuschauen, wie Regisseur Martin Brachvogel das Thema Gewalt ständig unter der Oberfläche am Köcheln hält. Lisa Horvaths reduzierte Ausstattung spielt dazu gekonnt mit den Gegenpolen Schutz und Gefahr, und Michael Rainers Lichtgestaltung sorgt für die richtigen Stimmungen. Mit Sofia Falzberger, Johanna Martin, Jonas Werling und Nuri Yildiz stehen vier Schauspieler zur Verfügung, die viel zu erzählen haben, auch wenn man den Text – weil alle durcheinan- der sprechen – nicht immer versteht. Eines versteht man aber allzu gut: Ein bisschen Sensibilität für die Grenzen und die Würde des Anderen schadet nicht.«
Michaela Reichert, Kronen Zeitung, 01. Dezember 2023
»Die alltägliche Gewalt
Würde, Wut und Widerstand im Grazer Jugendtheater.
Mit schmerzhaften Kindheitserinnerungen, allen voran dem Wehrstich einer sonst friedlich disponierten Hummel, holen Sofia Falzberger, Johanna Martin, Jonas Werling und Nuri Yildiz das Publikum zum Blitztrip in die Welt der Gewalt ab. Der stachelige Brummer durchkreuzt das 60-minütige Spiel immer wieder, bis hin zu Rimski Korsakows „Hummelflug“. Ganz Alltägliches, nichts Spektakuläres wird unter Martin Brachvogel bei „Shoot’n’Shout“ (schießen und schreien) angetippt. Wobei es in Sergej Gößners „abstraktem Gemälde aus Worten“ (von Lisa Horvath minimalistisch ausgestattet) um Würde, Widerstand und Wut geht, um Stillhalten, sich zur Wehr setzen, reizen und reagieren. Prima durchgezogen vom Schauspiel-Quartett, das trotz allem Ärger mit Komik auch für Gelächter sorgt. Beschränken sich die Teaser auf eher leichtgewichtige Gewaltmomente, wird doch deren allgemein fast übliche Akzeptanz deutlich, sei es bei Beleidigungen oder psychischen Repressalien. Verhaltenstipps gibt es keine. Da bleibt nur Nachdenken.«
Elisabeth Willgruber-Spitz, Kleine Zeitung, 01. Dezember 2023